Nordsee

Ostsee

Kindererholung

Da sitze ich wieder. Am rauen Meer und das auch noch im Herbst. Alles ist grau in grau und ich wähle die Ostsee, um zu schreiben. Obwohl ich gar nicht von hier komme und auch mit meinen Eltern nie hier war, zieht mich diese See magisch an. 

Mit gerade einmal 6 Jahren war ich alleine an der Nordsee zur Kindererholung. Es war 1985 und ich sollte ganze 5 Wochen hier sein, ehe es in die Schule ging. 

Während im Bus viele Kinder weinten, war ich leise und sah aus dem Fenster, winkte meinen Eltern und fand es spannend, zu verreisen. Das haben wir sonst nie gemacht.
Es war meine erste Reise, so richtig mit Koffer und so.

Ich wusste nicht, was auf mich zukam, hatte aber keine Angst. Und das, obwohl es an die 725 km entfernte Nordsee ging. Ich konnte noch nicht einmal schwimmen. 

Ich kann mich an kaum etwas wirklich erinnern und das liegt nicht an einem möglichen Missbrauch, so wie er später vielerorts aufgedeckt wurde, was die „Kinderverschickung“ anging. Was für ein hässliches Wort man sich da im Nachhinein ausgedacht hat. 

Woran ich mich aber erinnern kann sind die langen Spaziergänge bei Wind und Wetter. Wir waren täglich draussen und davon oft im gelben Friesennerz mit gelben Gummistiefeln, weil es häufig regnete. 

Der Waldboden war besonders. Sandig und der Wald gemischt. Die Birken und Kiefern sind mir in Erinnerung geblieben – und meine kleine weisse Robbe, 15 cm groß, die ich mir dort gekauft habe. 

Ich meine, mich an ein wenig Heimweh zu erinnern. Fünf Wochen von zu Hause weg zu sein, war eine wirklich lange Zeit für ein sechsjähriges Mädchen. 

Und dennoch: Es waren fünf ganze Wochen ohne Alkohol, ohne Angst, ohne Gewalt. Fünf Wochen unter Kindern, mit Erzieherinnen und beim Wandern in der Natur. Aufstehen, waschen, essen, raus. Zurückkommen, umziehen, schlafen, essen, spielen. So in etwa war der Ablauf in diesen fünf Wochen. Eine heile Welt für mich.

Vielleicht verbindet mich deshalb etwas mit diesem Meer, das weder türkis noch tiefblau leuchtet, wie man es von Griechenland kennt oder Mallorca oder den Seychellen. 

Und deshalb sitze ich jetzt hier auf Rügen, 40 Jahre später, in meiner Ferienwohnung mit unverstelltem Blick auf das raue Meer. Die salzige Luft duftet, der Herbst leuchtet in seinen schönsten Farben. Ich trage wieder einen Friesennerz in dunkelblau, Mütze und warme, wasserfeste Schuhe, wenn ich zwischen dem Schreiben am Meer spazieren gehe.

Heute bin ich verheiratet, glücklich, mit einem Mann, der mich wahrhaftig liebt und auf Händen trägt. Es ist selbstverständlich, dass ich zum Schreiben alleine sein muss und er mich auch darin unterstützt. Ich frage mich oft, weshalb es das Leben immer wieder so gut mit mir gemeint hat. 

Im Licht der Liebe

zarter zerbrechlicher sonnenschein

Wie ein kleiner Engel

Ich wuchs katholisch auf. Jedes Wochenende waren wir, also meine beiden Brüder, meine Eltern und ich zu Besuch bei Oma. Bei der katholischen, bei der, die uns jeden Sonntag in die Kirche schickte, manchmal jagte, manchmal uns dafür begeisterte. 

Es war die Oma, die jeden Morgen mit uns ein Morgengebet sprach, die uns drei badete, die unsere Unterwäsche wusch, die wir bereits die ganze Woche trugen und die mit uns Zähne putzte. Bei ihr gab es keine Blendi, die wir lieber aßen, als damit zu putzen, sondern diese scharfe Pfefferminz-Zahnpasta, die die gesamte Mundhöhle ausbrannte. 

Es war die Oma, die uns zum Mittagsschlaf hinlegte, die uns bei unseren Alpträumen aufweckte und die mit uns das Abendgebet von Luise Hensel (+1876) sprach:

Müde bin ich, geh zur Ruh. 
Schließe beine Äuglein zu. 
Vater, lass die Augen dein
Über meinem Bette sein!

Fortsetzung folgt…