1000 Mal DANKE, Vanessa!
Treffen am Gardasee
„1000 mal Danke, Vanessa. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass Glück so nah ist…“
So begann ihre Nachricht, die mich am Morgen nach unserem Treffen am Gardasee erreichte. Sie schrieb, sie hätte geweint – nicht vor Schmerz, sondern vor Erleichterung.
„Vanessa, ich möchte, dass Du mein Erlebnis öffentlich machst. Jeder muss wissen, dass es dich gibt, dass es das gibt und wie leicht ein neues Leben sein kann.“
Unter der Wahrung aller Anonymität wurden demographische und persönliche Daten dergestalt verändert, dass kein Rückschluss auf die Person möglich ist.
Ich traf Anna (53 Jahre) am Gardasee:
1. Annas Geschichte
Anna lebt in Deutschland mit ihrem Mann. Ihre zwei erwachsenen Kinder sind bereits ausgezogen. Sie arbeitet mit ihrem Mann in der gemeinsamen Firma, bzw. in seiner Firma. Es ist seine GmbH – sie ist angestellt.
Sie sind seit 25 Jahren verheiratet, immer zusammen, die Firma gemeinsam aufgebaut, die Kinder großgezogen, gut gelebt.
Anna beschreibt in ihrem Anliegen ein Gefühl von Erschöpfung, von Selbstaufgabe, Routine, Abhängigkeit und Schuldgefühl. Sie fühlt sich innerlich leer und ausgelaugt. Seit dieser Beziehung war sie gefühlt immer für andere da. Erst für den Mann, dann die Firma und die Kinder, Schwiegereltern… und ganz zuletzt kam sie. Doch es ist nicht so, dass ihr Mann sie einengen würde. Sie selbst kann freie Zeit nicht mehr genießen, denn immer gäbe es irgendwas zu tun.
Wenn sie dann zu Hause ist, ist es jedoch nicht so, dass sie in eine Putzfee mündet. Sie lässt Dinge liegen, verkriecht sich ins Bad, um einfach endlich mal Ruhe zu haben. Ruhe, die sie aber nicht wirklich genießen kann.
Sie prokrastiniert, ist frustriert, kraftlos und das Aufstehen am Morgen fällt ihr besonders schwer. Besonders deshalb, weil sie sich schon anders kannte. Deshalb weiss sie auch, dass etwas nicht in Ordnung scheint.
Die Beziehung zu ihrem Mann ist in der Zwischenzeit mehr eine WG. Sie behandeln sich zwar liebevoll und korrekt, aber die Leidenschaft und Freude füreinander ist abhanden gekommen. Sexualität findet kaum noch statt. Sie ist auch viel zu erschöpft dafür. Dann immer diese gleiche Nummer langweilt sie auch.
2. Das Gespräch am Gardasee
„Ich will einfach nur meine Ruhe! Ich will mal wieder für mich sein. Ganz für mich sein, in meiner Kraft und ohne schlechtes Gewissen – in mir ankommen. Nichts fühlt sich derzeit leicht an. Ständig rattert mein Kopf und mein schlechtes Gewissen. Und die Beziehung ist so langweilig geworden, dass ich nicht weiss, wie lange ich das noch aushalte.“
Ich lasse sie Ausreden. Dann keine Analyse, kein Reinfragen in das vermeintliche Problem. Stattdessen frage ich sie:
„Woran würdest du merken, dass es dir in dieser Situation wieder leichter fällt, zu atmen? Was würde sich – vielleicht ganz leise – verändern, wenn du dich ein kleines Stück mehr „angekommen“ fühlst, auch wenn sich im Außen noch nichts Großes verändert hat?“
Ihre Antwort entfaltet sich nach einigem überlegen:
„Ich glaube, ich würde es daran merken, dass ich mich auf den Tag freue. Dass mir das Aufstehen wieder leicht fällt. Ich wäre insgesamt wieder leichter, hätte Freude an meinen Aufgaben und würde mir nicht ständig so viele Gedanken machen. Dinge im Außen sind mir egaler, ich lebe einfach mein Leben – ohne schlechtes Gewissen, sondern mit Begeisterung.“
Was bereits nach dieser ersten Frage passierte:
Anna begann damit, ihre Energie zurückzuholen. Zwar vorerst in Gedanken, aber immerhin. Sie bekommt jetzt schon ein erstes kleines Gefühl dafür, wie es wieder anders sein könnte.
Ich frage weiter:
„Ok, Anna. Wann hast du dich das letzte Mal so ähnlich gefühlt?
Also dieses „mir ist es egal, ich lebe einfach mein Leben“ – vielleicht in einem ganz anderen Lebensbereich, vielleicht nur für einen Moment.
Wann war das?“
Annas Antwort:
„Es war eigentlich bevor ich ihn kennenlernte. Ich weiss, das klingt jetzt schräg. Während meiner Zeit im Studium, als ich Single, glücklich an der Uni war und einfach mein Ding machte. Alles war unbeschwert – zumindest relativ zu heute. Ich war glücklich mit meinem Aussehen, stolz auf meine Leistungen. Ich war kraftvoll und gefühlt lag mir die Welt zu Füßen. Ich liebte mein Leben, gestaltete es, wie ich wollte und verfügte auch über mein Geld, das mir zur Verfügung stand – auch wenn es damals nicht viel war. Aber das ist wirklich lange her! Und außerdem: Diesen Zustand erreiche ich wohl nur wieder, wenn ich mich scheiden lasse.“
Was passiert: Anna beschreibt ein konkretes Erleben von Selbstbestimmung, finanzieller Freiheit und innerer Ruhe. Gleichzeitig taucht die Spannung auf: „Wenn ich das wieder wähle, verliere ich vielleicht die Ehe.“
Ich frage weiter:
„Wenn du dich mal in diese Frau von damals hineinversetzt: Was genau hat sie anders gemacht als du heute? Und welche kleine Sache davon – vielleicht eine Haltung, eine tägliche Gewohnheit, ein Gedanke –
könntest du heute schon wieder ein bisschen leben, auch in dieser Situation jetzt?“
Nach einigem Überlegen antwortete sie das:
„Puh,.. das ist wirklich schwierig. Ich war ja alleine. Gefühlt habe ich alles anders gemacht, denn mein Leben war ein völlig anderes. Es beginnt schon damit, dass ich morgens meine Ruhe hatte und einfach entspannt in den Tag starten konnte. Ich konnte meine Gedanken schweifen lassen, Tagträumen und war nicht sofort in irgendwelchen To-Dos des Tages. Alles war so frei und leicht. Außer Uni-Termine gab es keine Fremdbestimmung. Weißt du, deine Frage ist sehr gut und ich habe sie mir sogar schon selbst gestellt!! Das Problem ist nur, ich habe schon Dinge versucht und sie haben nicht geklappt. Ich habe es nicht durchziehen können, weil ich im Kopf einfach so zerstreut bin, weil ich mich einfach auch so kraftlos fühle und weil ich so verstrickt bin irgendwie in dieser Ehe. Also emotional, gedanklich, keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, ich führe halt nicht mehr mein Leben.“
Kannst Du spüren, wie verzweifelt Anna ist? Sie steckt wirklich tief drin. Dennoch lasse ich an dieser Stelle nicht locker und fahre im Prozess fort:
„Anna, ich höre, dass du unglaublich viel reflektierst – und dass du wirklich versuchst, Verantwortung zu übernehmen. Es klingt, als ob du dich nach einem Moment sehnst, in dem du einfach mal wieder bei dir ankommst – ohne schlechtes Gewissen, ohne Pflichtgefühl.
Wenn wir mal ganz klein denken: Gibt es irgendwo in deinem Tag eine Minute, die wirklich nur dir gehört? Vielleicht ein Moment morgens, beim Duschen, beim Kaffee, beim Einschlafen – eine winzige Oase, wo du nicht funktionierst, sondern einfach bist.
Und wenn es diesen Moment gibt – was tust du oder was tust du nicht, dass er sich nach dir anfühlt?
Sie antwortet nach einiger Zeit:
„Ja, es gibt verschiedene Minuten tatsächlich während des gesamten Tages verteilt. Ich nehme die mir auch. Beispielsweise gab es in der Vergangenheit Tage, da fährt er früher ins Büro und ich habe eine gute Stunden zu Hause. Aber, jetzt kommt wieder ein großes Aber. Ich weiß, ich komme hier ständig mit Abers um die Ecke, aber ich fühle mich einfach nicht frei. Ich habe immer im Nackensitzen dieses schlechte Gewissen, ich müsste dies tun, das tun. Ich fühle mich in meinem Leben einfach nicht frei. Das war früher. Früher war es so, ich bin Kaffee trinken gegangen, ich habe irgendwas gemacht und jetzt ist da die Wäsche, da ist der Haushalt, da ist was weiß ich. Manchmal, aber nur manchmal gehe ich am Wochenende in ein Museum oder zum Sport, Kaffeetrinken. Dann gelingt es mir für einige Zeit. Es gelingt mir nur, wenn ich nicht zu Hause – ja nicht in seiner Nähe bin. Es fühlt sich für mich an, als müsste ich immer flüchten, um meine Ruhe zu haben. Zu Hause habe ich sie nicht mehr. zu Hause gelingt es mir nicht. Dort ist es so, als läge ein schwerer Stein auf meinen Schultern.“
Ich frage weiter:
„Ok, und wenn Du dir jetzt einmal ganz still vorstellst …
Was wäre ein winziges Zeichen dafür, dass du dir dieses „Ich darf jetzt einfach sein“ auch zu Hause erlaubst – vielleicht nur für fünf Minuten, auch wenn die Wäsche da ist, auch wenn er in der Küche sitzt?
Nicht als Pflicht, sondern als kleine, stille Rebellion für dich.
Wie sähe so ein Moment aus?“
Anna:
„Also, dazu muss ich mal ganz ehrlich sagen, fünf Minuten würden mir wirklich nicht reichen. Mir geht es wirklich darum, zu Hause, wie soll ich das sagen, mich um meine Dinge zu kümmern, so wie ich es früher auch gemacht habe. Also, was wäre ein winziges Zeichen dafür, dass ich mir auch zu Hause erlaube?
Ein Zeichen dafür wäre halt einfach, dass ich es tue, ganz klar, dass ich es tue und dass ich mich gut dabei fühle. Tun und gut dabei fühlen. Und das ist jetzt ja vielleicht die Frage, wie kann ich diesen schlechten Gewissen loswerden und diesen Druck auf den Schultern, dieses, es müsste noch dies und das gemacht werden. Wobei ich auch wirklich sagen muss, ich bin nicht die perfekte Hausfrau. Die Wäsche liegt ja trotzdem rum.
Das ist ja gerade das Paradoxe. Ich räume deswegen nicht auf. Ja, das ist ja das Schlimme an dem Ganzen. Wenn ich dann wenigstens aufräumen würde, dann hätte ich wenigstens auch was geschafft. Stattdessen hänge ich einfach nur rum. Ich hänge nur rum.
Ich prokrastiniere. Ich mache dann auch keine Wäsche. Manchmal mache ich sie schon. Ja, manchmal mache ich auch Spülmaschine und Küche. Okay, dann gehen halt die zwei, drei Stunden dafür drauf, aber eben trotzdem ja auch wieder nicht für mich. Aber der Punkt ist, wenn ich nicht die Hausarbeit mache, nehme ich mir ja trotzdem keine Zeit für mich und das ist ja das große Problem.“
An dieser Stelle ist schon viel passiert, wenngleich es von außen nicht so aussehen mag: Sie hat sich völlig geöffnet — und es ist glasklar zu sehen:
Es geht nicht um Zeit, sondern um innere Erlaubnis und Selbstwert.
Sie beschreibt zwei Pole:
-
die frühere, kreative, selbstbestimmte Frau (voller Energie, schöpferisch)
-
die jetzige Frau, die funktioniert, wartet, prokrastiniert und sich selbst im Tun verliert.
Die Fragerei geht also weiter:
„Du beschreibst ganz genau, wie du früher warst – lebendig, kreativ, verbunden mit dir. Und du weißt sogar, was dir heute fehlt: dieses Gefühl, du darfst du sein, auch wenn jemand anderes da ist.
Wenn du einmal – nur in deiner Vorstellung – wieder diese Frau wärst,
👉 was wäre das Erste, was sie morgen früh tun würde, bevor sie beginnt,
Rücksicht zu nehmen?
Vielleicht nur eine kleine Geste, ein Gedanke, eine Entscheidung?“
Fortsetzung folgt…..